Nach einer Phase von Agilität, Selbstverantwortung und Sinnorientierung zeigt sich ein neues Bild. Was steckt dahinter? Welche Logiken wirken hier – und wofür sind sie gerade hilfreich?
Im Interview erklärt Andrea, wie das Graves-Modell dabei hilft, solche Dynamiken besser zu verstehen.
Liebe Andrea, warum beobachten wir derzeit wieder mehr Kontrolle, Effizienz und Hierarchie?
Andrea: Weil diese Denkweisen vielen Menschen aktuell für ihre Herausforderungen als hilfreich erscheinen – nicht aus Nostalgie, sondern aus Notwendigkeit. Sie versuchen, Sicherheit in unsicheren Zeiten zu erzeugen. Sicher fühlt sich das an, was wir schon kennen. In unsicheren Zeiten greifen wir dann eben auf Denk- und Handlungsmuster zurück, die wir schon kennen. Das Graves-Modell beschreibt ja, dass wir Menschen uns kontinuierlich weiterentwickeln möchten, von einer Stufe auf die nächste gehen. Das tun wir aber nur in sicheren Zeiten. In der Unsicherheit hingegen gibt es einen Drang zur Stagnation oder eben sogar zur Rückbesinnung auf vorherige Stufen, weil sie uns Stabilität und Orientierung geben.
Wie hilft das Graves-Modell, solche Dynamiken einzuordnen?
Andrea: Das Modell beschreibt die verschiedenen Werte- und Kultur-Ebenen – auf jeder der Ebenen sind uns als Menschen, in den Teams oder auch Organisationen unterschiedliche Dinge wichtig. Sind wir bspw. vorrangig auf der „blauen Ebene“ unterwegs, wünschen wir uns Sicherheit, Regeln und klare Strukturen. In „Orange“ ist es vor allem der Erfolg und Wettbewerb, die uns wichtig sind. In „Grün“ hingegen geht es uns um Wir-Gefühl, Miteinander und Sinn. Insgesamt gibt es derzeit neun beschriebene Werte-Ebenen, auf denen wir uns bewegen. Sind es zu viele Ebenen, die uns von anderen Menschen oder Teams trennen, können Spannungen entstehen. Beispielsweise dann, wenn die Führung vor allem auf Wettbewerb und Preiskampf setzt und das Team auf Wir-Gefühl und lebenslanges Lernen ausgerichtet ist. Dann reden die Menschen aneinander vorbei, obwohl sie jeweils aus ihrer Sicht und im Rahmen ihrer Ebene durchaus sinnvoll handeln. In diesem Falle gilt es, anders miteinander in den Austausch zu kommen und nach dem gemeinsamen Nenner für die Zusammenarbeit zu suchen und ihn mit Leben zu füllen.
Wie nutzt man das Modell in der Praxis?
Andrea: Es ist kein Rezeptbuch, sondern ein Reflexionsrahmen. Gemeinsam mit unseren Kunden schauen wir: Welche Ebenen prägen die Organisation aktuell? Wohin soll das Unternehmen oder ein Team mit Blick in die Zukunft entwickelt werden? Welche Stolpersteine und Dynamiken entstehen daraus – in Führung, Kommunikation, Entscheidungsfindung? So erkennen wir, was jetzt passt und was vielleicht (noch) nicht. Und erarbeiten von dort aus Impulse, die anschlussfähig sind. Nicht überfordern, sondern entwickeln – Schritt für Schritt.
Die Graves-Level
